Russland – ein Riese der Flachsproduktion. Ein Riese auf tönernen Füssen?

Mitte der achtziger Jahre wurden in der Sowjetunion etwa 1 Mio. ha Flachs angebaut, die in rund 250 Schwingbetrieben verarbeitet wurden. Der Flachs wurde sehr extensiv angebaut, meist wurden lokale Sorten oder mehrfach wild nachgebaute westeuropäische Sorten ausgesät.

Die Aussaat erfolgte witterungsbedingt meist erst im Mai, so dass häufig erst Ende Juli / Anfang August die Gelbreife erreicht wurde. Da die Leinsaat nicht nur für den Nachbau interessant war, sondern als Ölsaat einen nicht unbeträchtlichen (textilunabhängigen) Erlösanteil darstellte, wurde der Flachs überwiegend mit Rauf/Entkapselmaschinen in der Totreife geerntet. Dies brachte eine weitere Verspätung des Starts der Feldröste mit sich.

Wenden und Pressen bzw. Bündeln wurde teilweise von Hand, teilweise mit einfacher Traktormechanisierung durchgeführt. Im Ergebnis nimmt es nicht wunder, dass in vielen Jahren der Flachs erst im Oktober geborgen werden konnte – mit den bekannten Problemen wie z.B. unkontrollierter Nachröste aufgrund zu hohem Feuchtegehalt oder Verlust der Parallellage der Flachsstängel in den Bündeln.

Diese Fehler konnten durch erhöhten Aufwand (künstliche Trocknung des Materials unmittelbar vor der Schwingturbine, hoher Personalaufwand beim Einspeisen und Sortieren) nicht kompensiert werden. Durchschnittliche Langfaserausbeuten in der Größenordnung von 5% bis 8% (zum Vergleich Westeuropa: 15% bis 18%) sowie in der Regel eher mindere, überröstete Fasern konnten selbst unter dem sehr geringen Kostendruck nicht zu einem wirtschaftlichen Verfahren führen.

Hinzu kam das Problem der Entkopplung von Anbau und Verarbeitung: durch staatlich festgelegte Preise bestand seitens des Anbaues kein echter Anreiz, besonders hochqualitatives Flachsstroh zu liefern. Ähnliches galt für die Schwingbetriebe in bezug auf die Spinnereien.

Inzwischen stellt sich die Lage nochmals verschlechtert dar: der Anbau ist auf etwa 100.000 ha gesunken, die Anzahl der Schwingbetriebe auf unter 150, der Flächenertrag liegt bei 2 t Flachsstroh je ha mit einer Ausbeute von etwa 6-8% Langflachs und 12 bis 16% Werg.

Damit beläuft sich die jährliche Fasererzeugung auf etwa 14.000 t Langflachs und 28.000 t Werg. Die Schwingen arbeiten aufgrund der schlechten Strohqualität unwirtschaftlich und können ihre Vorlieferanten nicht bezahlen. Die wenigen verbliebenen Weiterverarbeitungsbetriebe haben den Strukturwandel u.a. deshalb überlebt, weil sie in Weltmarktqualität produzieren.

Dies bedeutet jedoch auch, dass gegen wertvolle Devisen für bestimmte Qualitäten hochwertiger westeuropäischer Langflachs importiert werden muss.
Damit schließt sich der Teufelskreis aus Kapitalmangel, minderer Produktqualität und hohen Verarbeitungskosten. Ein Strudel, in dem auch der traditionell große russische Binnenmarkt für Leinenprodukte unterzugehen droht.

Eine echte Perspektive für den russischen Flachsanbau kann nur in einer gewaltigen Investition in Anbau-, Ernte- und Verarbeitung bestehen, einschließlich einem Management, welches vom Anbau bis zum Eingang Spinnerei durchgehend verantwortlich zeichnet. Solange dies nicht einmal ansatzweise in Aussicht steht, bleiben die Füsse des Riesen tönern.

Source

Pers. Mitteilung von E. Heger vom 2003-04-09.

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