nova-Buchbesprechung: Industrielle stoffliche Nutzung nachwachsender Rohstoffe

“Die stoffliche Nutzung zeichnet sich aber im Gegensatz zur energetischen durch eine hohe Komplexität hinsichtlich möglicher Erzeugungs- und Herstellungspfade und damit der verschiedenen Forschungs- und Anwendungsfelder aus. Diese im Überblick darzustellen und damit die Bandbreite an Möglichkeiten aufzuzeigen, war ein Schwerpunkt des vorliegenden TAB-Arbeitsberichtes, der im Rahmen des TAB-Monitoring “Nachwachsende Rohstoffe” entstand.”

So heißt es auf der Seite “aktuell” des “Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB)”. Und in der Tat findet man auf den 250 Seiten des Berichtes eine Menge an Informationen über die stoffliche Nutzung.

Zum Thema stoffliche Nutzung nachwachsender Rohstoffe gibt es bislang nur wenige Publikationen, dies sind vor allem: “Nachwachsende Rohstoffe in der Industrie” von Dietmar Peters (FNR 2006) und die stofflichen Abschnitte der “Marktanalyse Nachwachsende Rohstoffe, Teil 1 und 2 vom meó Consulting Team und Partnern (vgl. Meldung vom 2007-01-04).

Was bringt der TAB-Bericht gegenüber diesen Studien Neues? In Bezug auf den “Sachstand” stoffliche Nutzung nicht allzu viel. Sämtliche Daten wurden aus bekannten Studien übernommen, eigene Erhebungen oder Aktualisierungen fanden im Rahmen des Berichtes nicht statt. Unter “Handlungsfeldern” findet man hierzu die Empfehlung (S. 201): “Verbesserung der statistisch erfassten Datenbasis – Für die Erfassung von Produktionsmengen von Produkten aus nachwachsenden Rohstoffen liegen zumeist keine statistisch geführten Angaben vor. Um die weitere Entwicklung der (industriellen) stofflichen Nutzung von nachwachsenden Rohstoffen nachvollziehbar verfolgen zu können, wäre ein Augenmerk auf eine industrienahe Informations- bzw. Datenerfassung zu legen.”

Während der Bereich Holz, der bei der stofflichen Nutzung mengenmäßig die wichtigste Rolle spielt, nur auf wenigen Seiten abgehandelt wird und ebenso die zukünftigen Entwicklungspotenziale der “klassischen” stofflichen Nutzung nicht näher analysiert werden, ist für die Autorin eines klar: Die Zukunft der stofflichen Nutzung liegt in der Bioraffinerie: “Der eigentlich visionäre Gedanke besteht darin, die heute bekannten komplex vernetzten und historisch gewachsenen Strukturen der Kohle- und Erdölchemie auf nachwachsende Rohstoffe zu übertragen. Die Verarbeitung nachwachsender Rohstoffe hätte dann einen vergleichbaren Weg vor sich.” (S. 83)

Die Autorin stellt vier unterschiedliche Konzepte für Bioraffinerien und vorausschauende Ökobilanzen für die noch nicht industriell umgesetzten Verfahren vor. Sicherlich sehr interessant und durchaus auch Optionen für die Zukunft. Warum hier aber die Zukunft der stofflichen Nutzung liegt und was das überhaupt bedeuten soll (Tonnage, Innovation?), bleibt vage. Die zukünftige Bedeutung wird vor allem auch von der Wirtschaftlichkeit abhängen – auch in Konkurrenz zu den “klassischen” Verfahren der stofflichen Nutzung nachwachsender Rohstoffe: Volle Nutzung der Synthese-Vorleistung der Natur und kurze, agrarnahe Verarbeitungsketten.

In dem TAB-Bericht fällt insgesamt auf, dass die Ökonomie zu kurz kommt. So auch im Kapitel “Flächenkonkurrenz”. Hier werden primär Flächenbedarfsanalysen in verschiedenen Szenarien diskutiert. So heißt es etwa auf S. 152: “Im Fall des Basisszenarios für 2015 kann die Nachfrage für die stoffliche Nutzung von nachwachsenden Rohstoffen – inkl. eines potenziell unterstellten Einsatzes in Bioraffinerien – sowie die energetische Nachfrage für Strom, Wärme und Kraftstoffe durch die vorhandenen Potenziale gedeckt werden.”

Auf dem Acker stellt sich die Flächenkonkurrenz anders dar, hier geht es nach dem Wegfall der Stilllegungsflächen primär um “€/ha” – welche Kultur bringt pro Fläche den höchsten Deckungsbeitrag? Und dies zeigt sich nicht erst 2030, sondern schon jetzt im Jahr 2007, wo die stoffliche Nutzung gegenüber Lebensmitteln und Energiepflanzen massiv unter Druck steht. Hiervon erfährt der Leser nichts.

Politisch ist die Studie sehr vorsichtig und in ihren Empfehlungen meist unkonkret. Allem kann man guten Gewissens zustimmen. Dass aber eine höchst ungleiche Fördersituation bei energetischer und stofflicher Nutzung existiert, die stofflich genutzten Kulturen deutlich geringere Deckungsbeiträge beschert, haben die Autoren des Berichtes und der dazugehörigen Gutachten übersehen. Schade.

FAZIT: Das Thema “Stoffliche Nutzung” stößt in der Politik auf immer mehr Aufmerksamkeit. Das ist gut so und nur so können bisherige Hemmnisse für den stofflichen Bereich erkannt und überwunden werden. Wer Daten und Fakten zur stofflichen Nutzung, aktuellen Anwendungen und Märkten sowie zukünftigen Potenzialen sucht, ist mit der oben erwähnten “Marktanalyse Nachwachsende Rohstoffe, Teil 1 und 2” vom meó Consulting Team und Partnern (FNR 2006 bzw. 2007) bestens bedient. Wer eine Kurzfassung sucht, sollte zunächst “Nachwachsende Rohstoffe in der Industrie” von Dietmar Peters (FNR 2006) lesen.

Der TAB-Arbeitsbericht ergänzt die genannten Publikationen durch Diskussionen spezieller Themenfelder wie Ökobilanzen, Erwartungen von Akteuren und Verbrauchern oder auch “Überlegungen zu einer Analyse der volkswirtschaftlichen Effekte der stofflichen Nutzung nachwachsender Rohstoffe” (S. 192). Vor allem aber stellt er die Vision “Bioraffinerie” vor: “Die Petrochemie hat über einen längeren Zeitraum gelernt, aus Erdöl einfach zu handhabende, chemisch reine Grundstoffe in Raffineriesystemen zu erzeugen. Das war ein Schlüssel zum Erfolg, ohne den es weder Kunststoffe noch viele andere Chemieprodukte gegeben hätte. Daher liegt es nahe, wenn man ein neues Stammbaumsystem für nachwachsende Rohstoffe aufbauen möchte, die Effizienz und Grundlogik heutiger petrochemischer Linien darauf zu übertragen.” (S. 83). Auch das ist nicht mehr neu, aber es wurde im TAB-Bericht gut im Überblick dargestellt.

Mich hätte nach all den Jahren der Diskussionen über die Vision “Bioraffinerie” interessiert, in welchen Produktlinien die Bioraffinerie wirklich punkten kann und in welchen die klassischen Verfahren ökonomisch überlegen bleiben werden. Gerade bei komplexen Molekülen, die mit wenig Aufwand aus der Pflanze gewonnen und weiterverarbeitet werden können, erscheint es mir verwegen zu behaupten, dass man dies über das Raffinieren nachwachsender Rohstoffe und anschließende Synthese preiswerter erreichen könne. Es wird Zeit, die Vision “Bioraffinerie” auf den Boden der Tatsachen zu holen und ökonomisch zu analysieren, wo überhaupt Aussichten auf Erfolg bestehen. Sonst wird die “Bioraffinerie” in dem – im TAB-Bericht verwendeten – umfassenden Sinne eine Vision bleiben.

Dagmar Oertel “Industrielle stoffliche Nutzung nachwachsender Rohstoffe”; TAB-Arbeitsbericht Nr. 114, März 2007.

Buch und PDF sind erhältlich unter: http://www.tab.fzk.de/ – Publikationen – Arbeitsberichte

(Vgl. Meldungen vom 2007-10-02 und 2007-09-10.)

Source

Dagmar Oertel - Industrielle stoffliche Nutzung nachwachsender Rohstoffe vom 2007-10-08.

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