Nokia, Toyota, BASF & Novamont: Biokunststoffe haben großes Potenzial

Chemiker und Plastikhersteller setzen auf nachwachsende Rohstoffe als Ressource der Zukunft

Die Tragetasche sieht edel aus. Das leicht transparente Material schimmert silbrig-grau, ist angenehm weich und so robust, dass sich leicht drei gefüllte Saftflaschen darin transportieren lassen. Der Clou: Die vermeintliche Plastiktüte ist aus Maisstärke hergestellt und biologisch abbaubar. “In einer Kompostierungsanlage”, sagt Harald Käb von der Interessengemeinschaft Biologisch Abbaubarer Werkstoffe (IBAW), “ist die Tüte nach spätestens zwölf Wochen verrottet.”

Eine neue Technologie wächst heran. Fieberhaft arbeiten Chemiker in aller Welt an der Produktion biologisch abbaubarer Kunststoffe. Sie werden nicht wie bisher auf der Basis von Rohöl, sondern im Wesentlichen aus so genannten nachwachsenden Rohstoffen hergestellt. Stärke aus Kartoffeln, Mais oder Weizen zählt ebenso zu den natürlichen Favoriten wie Zellulose und Pflanzenöl. Ihr Vorteil: Sie sind unbegrenzt verfügbar und entlasten die Mülldeponien.

In Zeiten steigender Rohölkosten und strengerer Umweltstandards suchen die Hersteller nach neuen, nachhaltigen Verfahren. Mit Erfolg: Das biologisch abbaubare Material, das noch bis vor wenigen Jahren allenfalls als Füllstoff für Verpackungen oder zum Bioabfallsack taugte, hat sich zum strapazierfähigen Hightech-Produkt entwickelt. Das Fraunhofer Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik in Oberhausen arbeitet an einem kompostierbaren Klebeband. Auf dem Markt sind Joghurtbecher und Pflanztöpfe aus Bioplastik ebenso wie Einweggeschirr, Kinderspielzeug und Babywindeln.

Längst gehen die Anwendungen über den Bereich der “Ex-und-hopp-Artikel” hinaus. Der japanische Autofabrikant Toyota etwa produziert für die Innenausstattung seines neuen Fabrikats “Raum” Kunststoffe aus Kartoffelstärke. Der finnische Telefonriese Nokia tüftelt an Handygehäusen aus ähnlichem Material. Das italienische Unternehmen Novamont, Entwicklungspionier und mit rund hundert Mitarbeitern einer der Marktführer der neuen Technologie in Europa, stellt neben biologisch abbaubaren Granulaten für Hightech-Folien sogar Bio-Füllstoffe für Autoreifen her.

“Die verringern den Rollwiderststand und reduzieren damit den Treibstoffverbrauch”, erklärt Friedrich von Hesler, Vertriebsleiter der deutschen Novamont-Niederlassung in Eschborn. Längst hat auch die Chemieindustrie die grüne Nische entdeckt. Die BASF AG erforscht beispielsweise in Kooperation mit dem US-amerikanischen Bioplastikhersteller Metabolix Polyesterkunststoffe auf der Basis von Zucker.

“Mittel- bis langfristig können nachwachsende Rohstoffe eine attraktive Alternative zu den petrochemischen Grundstoffen darstellen”, ist der Polymerforscher Dietrich Scherzer von BASF überzeugt, “auch in wirtschaftlicher Hinsicht.” In der Tat: Der Kunststoffverbrauch liegt weltweit bei 200 Millionen Tonnen.

Allein die Deutschen verbrauchen rund acht Millionen Tonnen Plastik pro Jahr. Rund 1,8 Millionen Tonnen davon, so der Unternehmensberater Jürgen Lörcks, werden zu kurzlebigen Kunststoffverpackungen wie Folien, Tragetaschen oder Plastikgeschirr verarbeitet – “zu Produkten also”, schreibt Lörcks in einer Broschüre der Fachagentur für nachwachsende Rohstoffe, “die aus Stärkekunststoffen und Polylactiden (Polyester aus Milchsäure auf der Basis von Stärke oder Zucker, Anm. d. Red.) hergestellt werden könnten.” Der Automobilkonzern Toyota etwa schätzt den globalen Umsatz von Biokunststoffen im Jahr 2020 auf rund 38 Milliarden US-Dollar. Im März 2004 hat das Unternehmen erklärt, dass es die wachsende Nachfrage mit eigenen Produkten bedienen werde.

“Nachwachsende Rohstoffe können auf längere Sicht die Rolle der heute noch dominierenden fossilen Ressourcen übernehmen”, sagt Harald Käb von der IBAW. Doch grün Ding will Weile haben: Seit 15 Jahren sei das Thema in Forschung und Entwicklung präsent, so Käb. Erst seit dem Jahr 2000 gebe es nennenswerte Produktionsanlagen.

“So was braucht Zeit.” Vor allem die vergleichsweise hohen Kosten bremsen bislang die massenhafte Produktion. Bioplastik, so kalkulieren die Experten, ist ungefähr dreimal so teuer wie aus Rohöl hergestellte klassische Kunststoffe, Tendenz fallend. Denn bei steigenden Ölpreisen schwindet mit der Zeit auch der Wettbewerbsvorteil, zumal niemand weiß, wann die Ölvorräte der Erde erschöpft sein werden. Zudem müsse man die einzelnen Produkte miteinander vergleichen, so Käb.

Eine Frischhaltefolie auf Stärkebasis, wie sie beispielsweise für Salat-Snacks oder Teigwaren auf dem europäischen Markt ist, sei atmungsaktiv und brauche deshalb im Gegensatz zu konventionellen Kunststoffhäuten nicht perforiert zu sein. “Das spart Kosten.” Biologisch abbaubare Mulchfolien, die in der Landwirtschaft den Unkrautwuchs unterdrücken, machen den Einsatz von Unkrautvernichtungs- und Düngemitteln überflüssig. “Die Folie wird nachher einfach untergepflügt und gibt dem Boden durch ihre Kompostierung Nährstoffe zurück”, sagt Harald Käb. “Das muss man dagegenrechnen.”

Auch auf dem deutschen Markt sieht sich die Branche kurz vor dem Durchbruch. Die Voraussetzung dafür sei allerdings eine Anpassung der gesetzlichen Bestimmungen. Anders als in den Niederlanden oder in Italien, wo vor allem im Norden die Entsorgung der Biokunststoffe über die Biotonne reibungslos funktioniert, dürfen Verpackungen und Materialien aus nachwachsenden Rohstoffen bei uns bislang nicht in der Biotonne oder auf dem Komposthaufen landen. Sie müssen wie herkömmliche Kunststoffe mit dem grünen Punkt markiert und über das duale System entsorgt werden.

Das, beklagen die Hersteller, sei nicht im Sinne des Erfinders. Es verursacht zusätzliche Kosten und hemmt Investitionen in diesem Bereich. Sie machen sich daher für eine Änderung der Bioabfall- und der Verpackungsverordnung stark. Derweil haben die Anbieter von Biokunststoffen ein Zertifizierungs- und Kennzeichnungssystem etabliert, das die Kompostierbarkeit garantiert. Den nach DIN-Norm geregelten Materialtest bestehen nur solche Produkte, die vollständig biologisch abbaubar sind.

Background: Das Bundesforschungsministerium fördert die Suche nach Lösungen im Bereich der nachhaltigen Entwicklung jährlich mit rund 650 Millionen Euro. Schwerpunkte sind die Entwicklung der Kreislaufwirtschaft, effektives Ressourcenmanagement und die Erforschung nachhaltiger Produkte. Weitere Infos unter: www.fona.de

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Kontakt:
Bundesministerium für Bildung und Forschung
Hannoversche Straße 28-30
10115 Berlin
E-Mail: 1stein@bmbf.bund.de

Source

"1stein" das Magazin des Bundeministeriums für Bildung und Forschung, Ausgabe Dezember 2004.

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