Niedersachsen: Jühnde blickt bang der Ernte entgegen

Mehr als 2.500 Experten aus aller Welt treffen sich in dieser Woche in Bonn zu der internationalen Konferenz für erneuerbare Energien “Renewables 2004”. Mit von der Partie ist auch ein kleines Dorf in Südniedersachsen: Bürger aus Jühnde (Kreis Göttingen) stellen dort ihr bundesweit einzigartiges Projekt “Bioenergiedorf” vor.

Jühnde soll das erste Dorf in Deutschland werden, das sich komplett selbst mit Energie aus nachwachsenden Rohstoffen versorgt. Für die Jühnder Bürger ist die Einladung zu der Konferenz eine Bestätigung dafür, dass sie mit ihrem Projekt eine Vorreiterrolle übernehmen können. Trotzdem müssen sie noch um ihr Bioenergiedorf bangen, denn es fehlt weizerhin der letzte Baustein für die Finanzierung.

Seit drei Jahren laufen die Planungen dafür, die Wärme- und Stromversorgung des 750-Einwohner-Dorfes auf Biomasse umzustellen. Rund 70 Prozent der Haushalte haben bereits entsprechende Vorverträge unterschrieben. Insgesamt kosten die dafür nötigen technischen Anlagen 5,2 Millionen Euro. Einen Teil der Investition finanzieren die Jühnder aus Eigenmitteln, außerdem bekommen sie Fördergeld von der EU. Rund 1,6 Millionen Euro fehlen aber noch. Hier hofft das Dorf auf Unterstützung des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft und des Landes Niedersachsen.

Für die Jühnder gibt es dabei ein zeitliches Problem, und das liegt in der Natur der Sache: Spätestens Ende dieses Monats müssen die bereits angebauten Energiepflanzen geerntet werden, die zu Biogas vergoren werden sollen. Sollte die Finanzierungsfrage bis dahin nicht geklärt sein, könnten die Landwirte die Pflanzen höchstens noch als minderwertiges Viehfutter verwerten, sagt der Jühnder Bürger und Kreislandwirt Reinhard von Werder.

Insgesamt ist das Projekt ist nicht nur aus ökologischer, sondern auch aus wirtschaftlicher und soziologischer Sicht ein aufregendes Experiment: Ein ganzes Dorf schließt sich zu einer Energiegenossenschaft zusammen. Die Rohstoffe für die Erzeugung von Wärme und Strom wachsen auf den eigenen Äckern, die mehr als ein halbes Dutzend landwirtschaftlicher Betriebe mit insgesamt 400 Kühen und 1.400 Schweinen schaffen sich damit ein neues wirtschaftliches Standbein als Rohstofflieferanten. Auf rund zehn Prozent ihrer Flächen betreiben sie dafür eine Zwei-Kulturen-Wirtschaft. Im Herbst säen sie dort Getreide, Raps oder Hülsenfrüchte aus. Diese Pflanzen werden, anders als beim herkömmlichen Getreideanbau, bereits rund sechs Wochen vor der Reife Ende Juni geerntet. Gleich danach kommt die zweite Kultur mit Mais, Sonnenblumen oder Senf auf die Felder, die dann im Oktober geerntet wird.

Die abgehäckselten Energiepflanzen werden siliert und danach ebenso wie die Gülle aus den Viehställen zu Biogas vergoren. Als Abfallprodukt bleibt eine eiweißhaltige Schlempe übrig, die als Dünger auf die Felder kommt. “Die Schlempe stinkt längst nicht so stark wie die Gülle”, sagt von Werder. Hauptprodukt der Anlage ist aber das Biogas, das in einem Blockheizkraftwerk in Strom umgewandelt wird. 3,5 Millionen Kilowatt Strom wollen die Jühnder jährlich in das Netz einspeisen. Gleichzeitig wird Warmwasser erzeugt, das über ein neu zu bauendes Nahwärmenetz in die einzelnen Häuser gelangt. Den größeren Bedarf im Winter soll ein Holzhackschnitzelheizwerk decken.

Sogar die Baugenehmigung für die Anlagen haben die Jühnder schon. Jetzt brennen sie darauf, los legen zu können. Eckhard Fangmeier, Geschäftsführer der eigens gegründeten Bioenergiedorf-Gesellschaft, ist optimistisch: “Bislang hat sich das Landwirtschaftsministerium immer sehr kooperativ gezeigt und uns unterstützt.”

© HAZ 2004

(Vgl. Meldung vom 2004-02-25.)

Source

Hannoversche Allgemeine Zeitung vom 2004-06-01.

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