Brüssels neue Agrarpolitik will Beihilfen vereinfachen

Kürzungen von Direktzahlungen fordern EU-Regierungen in die Pflicht

Die bisher radikalste Reform der EU-Landwirtschaftspolitik verkündete Agrarkommissar Franz Fischler am Mittwoch in Brüssel. Künftig wird den EU-Regierungen freigestellt, ob sie das durch eine Kürzung von Direktzahlungen eingesparte Geld weiterhin an ihre Bauern verteilen oder zur Sanierung des nationalen Budgets verwenden.

Die Kürzung der Direktzahlungen um 20 Prozent innerhalb von sieben Jahren soll dann an die Mitgliedsstaaten verteilt und von diesen zur Förderung des ländlichen Raums genutzt werden. Zur Erhöhung des Anreizes für besonders sparsame Finanzminister wird der Kofinanzierungsanteil der Union für Projekte in der ländlichen Entwicklung von maximal 50 auf 60 Prozent erhöht. Dies bietet den EU-Staaten gleichzeitig einen Freiraum, um in Krisenfällen mehr Hilfe an die Landwirte zu leisten.

Eine völlige Abschaffung von Direktzahlungen lehnt Fischler hingegen ab: “Europas Bauern könnten ohne diese Förderungen nicht bestehen. – Ohne Förderung forcieren wir die Industrialisierung der Landwirtschaft.” Immerhin sei eigenartig, dass jene, die ein Abgehen von Direktzahlungen fordern, gleichzeitig hohe Umwelt- und Qualitätsauflagen verlangen. “Das passt nicht zusammen.”

Fischlers Vorschlag gilt als kostenneutral, da es nicht um eine Kürzung der Gesamtförderung für die Landwirtschaft geht. Nach ersten Schätzungen ergibt sich für das Gesamtbudget lediglich ein jährliches Einsparungspotenzial von 200 Mio. EUR bei einem Jahresbudget von 4,5 Mrd. EUR für den Agrarsektor. Dies könne nur dann anwachsen, wenn die EU-Kofinanzierung für nationale Projekte in der ländlichen Entwicklung nicht abgerufen wird, d.h., wenn die Regierungen statt auf Unterstützung der Bauern auf eine Sanierung ihrer Haushalte setzen.

Kernpunkt von Fischlers Reform ist die Vereinfachung der Förderungen: Nicht mehr nach Stückzahl von Vieh und Hektar soll abgerechnet werden, sondern nach dem bisherigen Fördervolumen – so soll die “Unternehmerfunktion” der Bauern in den Mittelpunkt treten. Die landwirtschaftlichen Betriebe sollten daher ihre Produktion nach den von ihnen selbst eingeschätzten Marktchancen und nicht nach einer Optimierung der Fördergelder ausrichten.

Für diese produktunabhängige Förderung sind allerdings “Gegenleistungen” gefordert. Die Betriebe müssten ihre Produktion umweltgerecht gestalten und Landwirten, die gegen EU-Standards verstoßen, wird ein Teil ihrer Förderungen gekürzt. Umstritten an der neuen Agrarreform ist indes noch die Kürzung der Interventionspreise für Getreide um fünf Prozent, als auch eine neue Obergrenze für Direktzahlungen an Großbetriebe von 300.000 EUR. Bis zum endgültigen Beschluss durch die Mitgliedsstaaten berücksichtigt Fischler, die Auswirkungen für betroffene Betriebe etwa in Ostdeutschland über darüber hinausgehende Förderungen je nach Anzahl der Mitarbeiter zu kompensieren.

Eckpunkte der Agrarreform

  • Kürzung der Direktzahlungen um 20 Prozent innerhalb von sieben Jahren.
  • Die eingesparten Beträge werden auf Grundlage der landwirtschaftlichen Fläche, der landwirtschaftlichen Beschäftigten und eines Wohlstandskriteriums auf die Mitgliedsstaaten aufgeteilt. Sie sollen gezielt für die Entwicklung des ländlichen Raums eingesetzt werden.
  • Der Kofinanzierungsschlüssel für Projekte der ländlichen Entwicklung wird zugunsten der Mitgliedsstaaten und zu Lasten des Gemeinschaftsbudgets von bisher 50:50 auf 60:40 geändert.
  • Umstellung von Produkt- zu Produzentenförderung: Die Direktzahlungen werden zur Einkommensstützung und auf Basis der bisherigen Ansprüche pro Betrieb errechnet (“Pauschalierung”).
  • Kleinbetriebe, die weniger als 5.000 EUR pro Jahr bekommen, sind von der Kürzung ausgenommen (drei Viertel der EU-Betriebe). Großbetriebe können maximal 300.000 EUR pro Jahr an Direktzahlungen bekommen. Diese Grenzen steigen mit jedem zusätzlichen Mitarbeiter um 3.000 EUR an.
  • Bauern, die die noch zu definierenden EU-Auflagen für eine umwelt- und tierfreundliche Landwirtschaft nicht erfüllen, müssen mit Kürzungen rechnen. Hierfür wird ein neues nationales Kontrollsystem eingeführt.
  • Erleichterungen sind außerdem bei der Staatshilfe für die nationale Landwirtschaft durch eine neue Freistellungsverordnung der EU vorgesehen.
  • Der Interventionspreis für Getreide wird um fünf Prozent reduziert. Produktionsabhängige Direktzahlungen gibt es weiterhin für Hartweizen und Ölsaaten.
  • Eingeführt wird eine verpflichtende ökologische Flächenstillegung.
  • Um den Anbau von Energiepflanzen zu fördern, wird ein “CO2-Kredit” eingeführt.

Source

Die Presse vom 2002-07-11.

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