Unterschätzter Rohstoff: Forscher plädieren für Gras & Bäume statt Erdöl, Kohle, Mais & Co.

Mehrjährige Pflanzen haben großes Potenzial, den wachsenden Bedarf an nachhaltig produzierter Biomasse in der wachsenden Bioökonomie zu decken – so ein Ergebnis der Perennial Biomass Crops Conference 2015 an der Universität Hohenheim

Biomasse statt Erdöl | Bildquelle: Universität Hohenheim / PD
Biomasse statt Erdöl | Bildquelle: Universität Hohenheim / PD

Ob als Energieträger, Dämmstoff, Spanplatte, Plastikflasche oder Blumentopf: Mehrjährige Gräser, Bäume und andere Pflanzen rücken im wachsenden Bedarf nach alternativen Rohstoffen weltweit immer mehr in den Fokus. Wissenschaftler und Landwirte sehen in den mehrjährigen Pflanzen jedoch nicht nur eine alternative Ressource zu Erdöl, sondern eine Möglichkeit, versalzene und seit Jahren ungenutzte Böden auf der ganzen Welt sinnvoll zu nutzen und langfristig für die Nahrungsproduktion wieder fit zu machen. Die Produktion dieser alternativen Rohstoffe, die nicht in Konkurrenz zur Lebensmittelproduktion stehen, sollte daher unterstützt und ausgeweitet werden. Mehr Informationen unter www.biomass2015.eu

Mais ist eine der Pflanzen, auf die Landwirte in jüngster Vergangenheit stark setzten. Je nach Sorte dienen Maisprodukte als Lebensmittel, als Tierfutter oder als Energieträger. Pro Hektar kann Mais 20–25 Tonnen Pflanzenmasse produzieren. Aufgrund dieser hohen Erträge und seiner guten Verarbeitbarkeit ist er ökonomisch interessant.

Doch Mais ist auch stark in die Kritik geraten. Denn er ist anspruchsvoll. Mais

  • braucht Dünger,
  • verlangt gute Böden, die auch für die Nahrungsmittel-Produktion interessant wären, und
  • begünstigt die Erosion, bei der fruchtbarer Oberboden abgeschwemmt oder weggeweht wird.

Riesengräser & Co. sind genügsame Alternativen

Dass es bessere Alternativen gibt, belegen derzeit 130 Wissenschaftler und Praktiker auf der Perennial Biomass Crops Conference an der Universität Hohenheim. Seit gestern stellen sie aktuelle Forschungsergebnisse und Praxisversuche aus ganz Europa vor. Am kommenden Donnerstag wird die Tagung zu Ende gehen.

Statt auf Mais setzen diese Pioniere auf Gras, Bäume und andere mehrjährige Pflanzen. Ihr Vorteil:

  • Die Wurzeln der Pflanzen reichen tiefer. Sie können deshalb auf Böden gedeihen, deren Oberböden versalzen oder ausgelaugt sind, sowie unter Bedingungen von Trockenstress wachsen.
  • In der Folge kommen sie auch gut mit Böden zurecht, die für Nahrungsmittelproduktion nicht in Frage kommen und müssen deshalb nicht mit ihnen in Konkurrenz treten.
  • Sie benötigen wenig Dünger und Pflanzenschutz und können bei geringem Aufwand einen hohen Biomasseertrag bilden.
  • Außerdem stabilisieren sie die oberen Bodenschichten, verhindern Erosion und bauen wieder gesunden Boden auf.

Chinesisches Schilfgras ist besonders vielversprechend

Ein besonderer Liebling vieler Arbeitsgruppen: Miscanthus, auch Chinaschilf genannt.

  • Das Riesengras ist anspruchslos und braucht kaum Dünger und Pflanzenschutzmittel.
  • Es gibt stresstolerante Sorten, die auf versalzenen und marginalen Böden wachsen können.
  • Vor allem bringt das doppelt mannshohe Gras tüchtig Masse auf die Waage: Mit bis zu 25 Tonnen pro Hektar ist es kein bisschen weniger produktiv als Mais – und das über Jahre hinweg und ohne die genannten Nachteile.

Ein kleiner Versuchsanbau liegt in Sichtweite von Schloss Hohenheim, wo die Wissenschaftler und Praktiker sich derzeit austauschen: Seit 20 Jahren wiegen sich dort die vier Meter hohen Halme im Wind. Gepflanzt hat sie Prof. Dr. Iris Lewandowski. Damals promovierte die Agrarwissenschaftlerin der Universität Hohenheim zu diesem Thema. Heute hat sie als Professorin den internationalen Kongress nach Hohenheim geholt.

Gras & Co. können Rohstoff- und Nahrungsprobleme nicht lösen – aber lindern

Die mehrjährigen Pflanzen können das Tank/Teller-Problem zwar nicht endgültig lösen, sagt die Expertin ausdrücklich am Rande der Konferenz: „Die Gräser und andere Pflanzen können die fossilen Rohstoffe nicht vollständig ersetzen. Und auf guten Böden sollte Lebensmittelanbau immer Vorrang haben.“

Aber „die mehrjährigen Gräser und Pflanzen können einen Beitrag zur Rohstoffversorgung leisten. Und unser Ziel ist es, marginale Böden sinnvoll zu nutzen und wieder für die Nahrungsmittelproduktion fit zu machen.“

Appell an die Politik: Die richtigen Anreize zur Unterstützung des Anbaus mehrjähriger Pflanzen setzen

Dabei gäbe es durchaus noch Forschungsbedarf. Drei Aspekte nennt Prof. Dr. Iris Lewandowski als besondere Herausforderungen:

  • Neuzüchtungen für verschiedene Standorte: Bislang gäbe es z.B. von Miscanthus nur eine einzige verwendbare Sorte. „In allen Ländern sind deshalb Forscher dabei, Neuzüchtungen auszuprobieren, die die vielversprechenden Pflanzen für verschiedene Standorte optimieren.“
  • Günstigerer Anbau: Gräser wie Miscanthus gehören zu den Pflanzen, die keine Samen produzieren. Das bedeutet, dass dieser zeit- und kostenaufwendig über Pflanzenteile vermehrt werden muss. „Gerade an der Universität Hohenheim sind wir dabei, eine Sorte zu prüfen, die auch über Samen vermehrt werden kann.“
  • Risikominimierung für Landwirte: Gerade Landwirte richten sich stark nach dem Markt. Sie entscheiden jedes Jahr kurzfristig, welche Feldfrucht bei der Ernte den höchsten Gewinn verspricht. „Diese Flexibilität gibt es bei mehrjährigen Pflanzen nicht. Hier muss sich der Landwirt für wenigstens 20 Jahre festlegen. Auch Bepflanzungs-, Produktions- und Ernteverfahren müssen noch optimiert werden.“

Deswegen sehen Prof. Dr. Lewandowski und die Teilnehmer der Perennial Biomass Crops Conference 2015 auch die Politik gefordert: „Diese Art der Biomasseproduktion braucht Unterstützung bei der Entwicklung kostengünstiger Anbauverfahren sowie bei der Produktion.“

Author

C. Schmid / Töpfer

Source

Universität Hohenheim, Pressemitteilung, 2015-09-08.

Supplier

Universität Hohenheim

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