Traditionelle Pflanzenarzneien Mexikos helfen bei Diabetes

Bonner Wissenschaftler auf den Spuren der Schamanen

Schamanen im Hochland Mexikos verschreiben gegen die Zuckerkrankheit traditionell speziell zubereitete Heilpflanzen. Dass die Naturarzneien tatsächlich hochwirksam sind und zudem nur wenige Nebenwirkungen haben, konnten nun Forscher der Universität Bonn nach jahrelangen Feld- und Laborstudien bestätigen.

SchamaneDer Shamane Audon beim Sammeln von Heilpflanzen im Hochlandurwald von Guerrero (Foto: Dr. Helmut Wiedenfeld)

In Mexiko soll jetzt eine Fabrik entstehen, die Anti-Diabetes-Kapseln auf pflanzlicher Basis produziert. Das Wissen traditioneller Heiler könnte damit zur Lösung eines drängenden Problems beitragen: Bis zum Jahr 2025, so schätzt die Weltgesundheits-Organisation WHO, wird jeder siebte Mexikaner an Diabetes leiden – das wären knapp zwölf Millionen Betroffene.

Die traditionellen Heiler (Schamanen) erkennen ihre Diabetes-Kranken am Geschmack: “Wenn der Patient die entsprechenden Symptome hat – starker Durst, Harndrang, Müdigkeit, Gewichtsverlust -, testet der Heiler, ob Blut oder Urin süßlich schmecken”, erklärt Dr. Helmut Wiedenfeld. “Falls ja, steht die Diagnose fest.” “Süßes Blut” ist im mexikanischen Hochland keine Seltenheit: In manchen Dörfern seien acht von zehn Erwachsenen zuckerkrank, so der Bonner Phytochemiker. Als Grund vermuten Wissenschaftler Veranlagung und falsche Ernährung.

Traditionell setzen mexikanische Dorfärzte bei der Behandlung des Diabetes auf bestimmte Heilpflanzen. Zusammen mit seinen Mitarbeitern hat Dr. Wiedenfeld verschiedene Naturarzneien an zuckerkranken Ratten getestet. “Anfangs meist ohne jeden Erfolg”, erinnert sich der Pharma-Forscher. Bis sein Diplomand Ivan Pérez dem Schamanen des Hochland-Dorfs Xochipala mehrere Monate über die Schulter sehen durfte.

“Der Schlüssel liegt häufig in der Zubereitung”, erklärt Dr. Wiedenfeld: Der Heiler von Xochipala versetzt die Arzneipflanze beispielsweise mit Mais oder anderen Zutaten und lässt die Mischung einige Zeit stehen. “Molekulare Scheren” im Mais zerschneiden dabei Inhaltsstoffe der Anti-Diabetes-Pflanze in kleinere Bruchstücke. “Und eines dieser Bruchstücke wirkt gegen die Zuckerkrankheit.”

YucatanEin einheimischer Maya-Indianer zeigt H. Wiedenfeld eine Heilpflanze, deren Blätter zur Bereitung eines antidiabetisch wirkenden Aufgusses verwendet werden (Foto: Dr. Helmut Wiedenfeld)

Der Heiler gewinnt aus dem Gemisch ein Getränk, das er “Agua de Uso” nennt, Wasser zum täglichen Gebrauch. Einen halben Liter müssen seine Patienten pro Tag davon trinken. Inzwischen ist es den Wissenschaftlern gelungen, Kapseln mit der pulverförmigen Wirksubstanz herzustellen. Drei Kapseln enthalten soviel Wirkstoff wie 250 Gramm Pflanzenmaterial, das entspricht der täglichen Dosis.

Inzwischen laufen die ersten klinischen Versuche. Eine Naturarznei-Firma hat bereits Interesse an dem neuen Bio-Medikament bekundet. Sofern die Tests erfolgreich verlaufen, soll bald direkt vor Ort eine Produktionsanlage für Anti-Diabetes-Kapseln entstehen. Die Bauern erhalten eine Abnahmegarantie für gesammelte oder angebaute Arzneipflanzen; außerdem profitieren die Einheimischen von den neu geschaffenen Arbeitsplätzen.

Die meisten Einheimischen leiden unter dem so genannten “Typ-II” oder “nicht-insulinpflichtigen” Diabetes. Früher nannte man diese Form auch “Altersdiabetes”; mittlerweile ist jedoch bekannt, dass der Typ II-Diabetes bereits in jungen Jahren auftreten kann.

MexikoH. Wiedenfeld im tropischen Nebelwald von Veracruz. Bei der Pflanze handelt es sich um eine Ageratum-Art, die von Einheimischen zur Behandlung des Diabetes Typ II eingesetzt wird (Foto: Dr. Helmut Wiedenfeld)

Als Faktoren, die die Krankheit auslösen oder verschlimmern können, gelten kohlenhydrat- und fettreiche Ernährung bei gleichzeitigem Bewegungsmangel. Zur Behandlung werden in erster Linie synthetische Wirkstoffe eingesetzt, die jedoch Nebenwirkungen wie Übelkeit, allergische Reaktionen oder Veränderungen des Blutbildes hervorrufen können.

“Ein Problem bei dieser Erkrankung ist meist die späte Diagnose: Da im frühen Stadium der Blutzuckerspiegel noch nicht so drastisch erhöht ist wie z.B. beim Typ-I Diabetes, fällt das bei Routineuntersuchungen nur selten auf”, erklärt Dr. Wiedenfeld. Zumal die Routinechecks meist in nüchternem Zustand und daher bei geringerer Blutzuckerkonzentration durchgeführt werden. Zu spät behandelt, drohen den Patienten dramatische Folgeschäden bis hin zur Erblindung oder dem Verlust von Gliedmaßen.

Rückfragen bei:
Dr. Helmut Wiedenfeld
Pharmazeutisches Institut der Universität Bonn
Tel.: 0228-73-5225
E-Mail: wiedenfeld@uni-bonn.de

Source

Presseinformation des Pharmazeutischen Instituts der Universität Bonn vom 2003-06-11.

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