Stellungnahme zur Novellierung des Bundeswaldgesetzes

Einseitiges Reformkonzept widerspricht dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse über das Ökosystem Wald

Die Fakultät für Forstwissenschaften und Waldökologie der Georg-August-Universität Göttingen hat sich wissenschaftlich mit den “Eckpunkten des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft zur Zukunft des Waldes” auseinandergesetzt, die Frau Ministerin Künast am 19.03.2004 in Berlin vorgestellt hat und dazu Stellung genommen.

Stellungnahme zu den Eckpunkten des BMVEL vom 19. März 2004 für die Reform des Bundeswaldgesetzes

Die Eckpunkte formulieren als Ziel der Reform die Sicherung der nachhaltigen Entwicklung im Wald in Übereinstimmung mit den internationalen Verpflichtungen Deutschlands. Dieses Ziel der Nachhaltigkeit, das ökologische, ökonomische und soziale Teilziele umfasst, kann mit dem Konzept der “naturnahen Waldbewirtschaftung”, wie es in den Eckpunkten entworfen wird, nicht erreicht werden. Nach Stand der forstwissenschaftlichen Erkenntnisse reichen die eindimensionalen ökologischen Instrumente, unbenommen ihrer Berechtigung in Schutzgebieten, für den bewirtschafteten Wald nicht aus, um die Nachhaltigkeit zu sichern.

1. Fehlsteuerung durch eindimensionale ökologische Instrumente zur Sicherung der  nachhaltigen Entwicklung im Wald

Das auf die “naturnahe Waldbewirtschaftung” beschränkte Reformkonzept wird folgende Fehlsteuerung, die zu Lasten aller Beteiligter geht, auslösen:

  • Die Nachhaltigkeit wird nicht gesichert, weil die Ausrichtung auf eine naturnahe Waldbewirtschaftung das Ökosystem Wald nur einseitig betrachtet und ökonomische und soziale Teilziele ausblendet.
  • Zusätzliche ökologische Gefahren entstehen für den Wald, weil die einseitig naturnahe Waldbewirtschaftung der ökologischen Ausgangslage im seit Jahrhunderten genutzten Waldökosystem in Deutschland nicht genügend gerecht wird. Auch dem Klimawandel tritt die einseitig naturnahe Waldbewirtschaftung mit Naturschutzdogmen anstelle von risikomindernden Maßnahmen nach Stand der Wissenschaft entgegen.
  • Die im globalen Wettbewerb erforderliche Innovation der nachhaltigen Waldbewirtschaftung wird durch das einseitige Konzept, das den Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis ignoriert, erschwert.

2. Ökologische, ökonomische und soziale Defizite der einseitig naturnahen  Waldbewirtschaftung

  • Die naturschutzfachlichen Vorgaben und die naturnahe Waldbewirtschaftung sind wichtige Bausteine, aber keine ausreichende Grundlage für nachhaltige Waldnutzung. Die einseitige Ausrichtung vernachlässigt die ökonomischen und sozialen Teilziele und führt in der Praxis zu unbehebbaren wirtschaftlichen Defiziten und Akzeptanzproblemen. Dies löst nicht die aktuellen strukturellen und wirtschaftlichen Probleme der Forstwirtschaft in Deutschland.
  • Naturnahe Wälder und naturnahe Waldbewirtschaftung bedeuten in Mitteleuropa vor allem Buchenwälder und Buchenwaldbewirtschaftung. Damit verbunden wäre ein Verlust an Arten- und Lebensraumdiversität sowie ein Rückgang an Strukturreichtum in der Kulturlandschaft.
  • Auf genetischer Ebene ist der “naturnahe” Zustand von Bäumen und Wald in Deutschland nicht wiederherstellbar. Für die Rückkehr in den Naturzustand sind die Wälder und deren genetische Ausstattung in der Kulturlandschaft durch den Menschen in Jahrhunderten zu stark verändert worden.
  • Aufgrund der vegetationsgeschichtlichen Entwicklung in Mitteleuropa sind die autochthonen (natürlichen) Waldbestände nicht jene mit dem größten Anpassungspotential an veränderte Umweltbedingungen. Ein Festhalten an den naturnahen genetischen Strukturen sichert daher unter geänderten Klimabedingungen weder die Stabilität noch das Potential des Waldes für multifunktionale Nutzung.
  • Mischwälder gelten als optimale Strategie der Risikominimierung im Wald, weil die Vielfalt große Anpassungsfähigkeit bewirkt. Die Mischwaldstrategie auf großer Fläche verträgt sich aber nicht mit maximaler Naturnähe, welche unter den deutschen Standortbedingungen vermehrt zu wenig gemischten Buchenbeständen führt.
  • Die gesetzliche Normierung der “guten fachlichen Praxis” führt entweder zu inhaltsarmen Begriffen, die dem Vollzug keine ausreichenden Vorgaben machen, oder zu konkreten Festlegungen, die als bundesweit gültige Norm der ökologischen Vielfalt der Waldstandorte nicht entspricht. So ist beispielsweise das Kahlschlagsverbot ohne Flächenangabe inhaltsleer, mit Flächenangabe aber für bestimmte stabile Standorte zu groß und für andere labile zu klein. Die gesetzliche Normierung der “guten fachlichen Praxis” löst daher keine Probleme, sondern führt zu zusätzlichen Problemen im Vollzug.
  • Die Sicherung der ökonomischen Nachhaltigkeit der deutschen Forstwirtschaft wird in dem Konzept der Eckpunkte vernachlässigt. Der Ausgleich von Belastungen der Forstbetriebe durch Umweltverschmutzung wird nicht gesichert. Die Leistungen der Forstbetriebe für die Allgemeinheit werden weder durch gesicherte Förderung und Schaffung erweiterter Vermarktungsmöglichkeiten noch durch  gezielte Maßnahmen des Steuerrechts abgegolten. Die Betriebe erhalten auch mehr regulative Einschränkungen, insbesondere durch die “gute fachliche Praxis” anstatt Freiräume, um eigenverantwortlich alle marktwirtschaftlichen Chancen nachhaltiger Forstwirtschaft zu nutzen.
  • Die Förderung forstwirtschaftlicher Zusammenschlüsse bringt eine wichtige ökonomische Stärkung. Sie kann aber nicht die gleichzeitig geplanten zusätzlichen Belastungen für die gesamte Bewirtschaftung und die fehlenden Förderinstrumente für Einzelbetriebe ausgleichen.
  • Deregulierung und Bürokratieabbau kann nur ein zwischen Bund und Ländern abgestimmtes Konzept leisten. Um diese Abstimmung zu erreichen, müsste die inhaltliche Reform des Bundeswaldgesetzes die Ergebnisse der Neuregelung der Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern abwarten.

3. Notwendigkeiten zur Sicherung der nachhaltigen Waldnutzung auf wissenschaftlicher  Grundlage

  • Von der Zielsetzung der nachhaltigen Entwicklung sind entgegen dem einseitigen Konzept der Eckpunkte alle drei Dimensionen, nämlich ökologische, ökonomische und soziale Teilziele, ernst zu nehmen.
  • Die Instrumente des Waldgesetzes müssen anstatt auf Dogmen der naturnahen Waldbewirtschaftung aufzubauen, den Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse über das Ökosystem Wald voll ausschöpfen.
  • Der überwiegende Anteil der Waldböden ist durch Nährstoffarmut und Versauerung bei gleichzeitiger Stickstoffeutrophierung geprägt. Daraus resultieren erhöhte Risiken für die Stabilität von Boden und Beständen und der Verlust von Schutzfunktionen. Zur Abwehr dieser negativen Entwicklungen muss es möglich sein, standortsspezifische und systemintegrierte Gegenmaßnahmen zu setzen. Dazu gehören neben kompensatorischen Maßnahmen auch Maßnahmen zur Mangelbehebung (Düngung) und der gezielte, lokal begrenzte Einsatz von Pflanzenschutzmitteln z.B. als Ersatz für mechanische Eingriffe.
  • Die Durchführung von Kleinkahlschlägen sollte prinzipiell möglich sein. Deren ökologische Wirkungen, insbesondere auf den Stoffhaushalt, müssen strikt standortbezogen bewertet werden.
  • Aus Gründen der Innovation und des globalen Wettbewerbs soll zur Sicherung der nachhaltigen Entwicklung des Sektors Forst- und Holzwirtschaft die Option gentechnisch optimierter Pflanzen nicht ausgeschlossen werden.
  • Die Instrumente müssen den nationalen und internationalen ökonomischen Rahmenbedingungen gerecht werden, um eine wirtschaftlich umsetzbare Strategie zu erreichen.
  • Die politische Ehrlichkeit und Effizienz erfordern es, dass zunächst die Aufgabenteilung im Föderalismus geklärt wird, bevor die inhaltliche Neuregelung von Aufgaben erfolgt.

Fakultät für Forstwissenschaften und Waldökologie
Georg-August-Universität Göttingen
Büsgenweg 5
37077 Göttingen

(Vgl. Meldung vom 2004-03-22.)

Source

Pressemitteilung der Fakultät für Forstwissenschaften und Waldökologie vom 2004-04-29.

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