Naturfasern: Den Spinnen und Muscheln abgeschaut

Schon seit geraumer Zeit sehen sich Biotechnologen mit der Herausforderung konfrontiert, Spinnenfäden oder Muschelseide labortechnisch zu produzieren – gelten diese doch bezüglich Stabilität als organische Analoge zu Stahlseilen und verfügen gleichzeitig über eine ungeahnte Elastizität.

Sieben verschiedene Seiden verarbeitet allein die Gartenkreuzspinne. So braucht sie für die Rahmenkonstruktion ihres Netzes ein besonders reißfestes Material, wobei der Mittelteil in seiner Elastizität an ein Trampolin erinnert. Selbst große Insekten können hier keinen Schaden anrichten. Einen konservierenden, klebrigen Faden verarbeitet die Spinne um die Beute, damit sie möglichst lange frisch bleibt. Ihren Abseilfaden indes vermag sie mit einer zementartigen Paste am Boden zu fixieren.

“Diese Spinnenseiden haben außergewöhnliche Eigenschaften, die mit keiner Kunstfaser erreicht werden”, weiß Thomas Scheibel, Biotechnologe an der Technischen Universität München. Historische Nachweise belegen den Menschen der Antike bereits den Gebrauch von Spinnen-, Muschel- oder Raupenseiden für die Herstellung von Fischnetzen oder zur Wundabdeckung.

Da sich die Gewinnung dieser extrem belastbaren Garne in großem Maßstab nicht wie z.B. bei Raupen über Terrarien-Haltung realisieren lässt , zeigt sich die Biotechnologie als wissenschaftlich viel versprechende Alternative.

So entschlüsselt Scheibel zunächst die genetischen Baupläne der verschiedenen Spinnenseiden und setzt diese in die extrem manipulierbaren Kolibakterien ein. Die Bakterien werden somit zur Biofabrik für Spinnenfäden modifiziert. Ernährt man die Mikroorganismen mit Zucker, liefern sie im Gegenzug die Seide.

Spinnenseide in Airbags und kugelsicheren Westen

Die trampolinartige Fangspiralseide der Gartenkreuzspinne wird beispielsweise von einem einzelnen Gen gesteuert, die Codierung für den Abseilfaden benötigt indes zwei Gene. Jedes Gen beinhaltet das Rezept für ein Protein. Aus diesen Proteinen entsteht im Hinterleib der Spinne die eigentliche Seide.

“Die beiden Gene für den Abseilfaden haben wir erfolgreich in die Bakterien verpflanzt”, erläutert Scheibel. “Bei diesem Zweikomponentensystem können wir genau steuern, wann ein Faden entsteht, indem wir festlegen, wann sich die beiden Eiweiße mischen. Es ist wie mit einem Kleber: Der darf auch erst fest werden, wenn er aus der Flasche herausgedrückt wird.”

Inzwischen haben die Münchner Forscher eine Spinndüsenapparatur entwickelt, aus der sich täglich einige Meter eines solchen Abseilfadens entnehmen lässt. Der Faden kommt an die mechanischen Eigenschaften des Naturmaterials immerhin zu 95 Prozent heran. Seine Dehnfähigkeit reicht bis zur dreifachen Länge bei einer gleichzeitigen Festigkeit wie Stahl. Mit einem Geflecht von Daumenstärke ließe sich problemlos ein Flugzeug anheben. “Er ließe sich zu kugelsicheren Westen verarbeiten oder zu einem neuen Gewebe für Airbags”, ist Scheibel überzeugt.

Zellulose macht es vor

Da das Garn sowohl antiseptisch als auch antiallergen ist, wäre eine Verwendung für Wundauflagen oder als chirurgisches Nahtmaterial denkbar. Speziell die Medizintechnik böte ein weitreichendes Anwendungsspektrum.

An der Universität Jena produzieren Bakterien bereits ein kuschelweiches Vlies aus Zellulose, das für Wundauflagen oder auch künstliche Blutgefäße genutzt werden soll. Durch reichliche Wasserspeicherung im Netzwerk der filigranen Fäden beruhigt es die empfindsame Haut von Allergikern. “Die Bakterien stellen sehr reine Fasern her. Sie sind viel sauberer als die Zellulose, die wir heute aus Holz gewinnen”, so Dieter Klemm, Chemiker an der Friedrich-Schiller Universität Jena.

Die Reißfestigkeit dieser so genannten Nanozellulose reizte das Unternehmen Sony zur Testung als Lautsprechermembranen und das Bakterien-Produkt hielt dem extremen Druck lauter Rock- oder Disco-Musik bestens stand. “Überall auf der Welt versuchen Firmen und Uni-Forscher, die Bakterien dazu zu bringen, große Mengen Zellulose zu erzeugen. Wem das gelingt, dem eröffnet sich ein Milliardenmarkt”, ist Klemm überzeugt.

Klemms Bakterienstamm Gluconacetobacter xylinus stellt im Labor bereits eifrig Nano-Zellulose her. Dabei ist nur zu beachten, dass die Mikroorganismen keinesfalls geschüttelt oder gerührt werden, denn dann verändern sich ihre Eigenschaften. (Vgl. Meldung vom 2006-02-07.)

Muschelfäden aus Bäckerhefe

“Es ist für uns die größte Herausforderung, Mikroben dazu zu bringen, die Rohstoffe für die Fasern zu erzeugen”, erklärt Wissenschaftler Scheibel. Oft vergehen viele Jahre, bis ein passender Einzeller gefunden ist.

Die Heftfäden der Miesmuschel sind hierfür ein Beispiel. Das Material klebt einerseits die Muschel fest an die Felsen, dämpft andererseits durch entsprechende Elastizität aber die Wucht der Wellen, damit die Muschel nicht am Stein zerschmettert wird. “Das ist ein unglaubliches Material, das Ebbe und Flut, sengender Sonne und eisigem Wasser trotzt”, sagt Scheibel.

Erst jüngst fand er einen Weg, die Muschelseide aus Bäckerhefe zu gewinnen. Ob in der Zukunft Zelte oder Segel mit Hilfe von Muschelgarn Wind und Wetter trotzen werden?

Zum Originaltext

(Vgl. Meldung vom 2004-11-26.)

Source

stern-Bericht vom 2006-09-02.

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