Die neue Chemie: Natur als Rohstofflieferant

Glycerin, Katalysatoren und ionische Flüssigkeiten - Ressourcennutzung ohne "Abfall"

Nachhaltige und umweltfreundliche Chemie findet allmählich positive Resonanz in der Bevölkerung – und tatsächlich nimmt der Vorsatz der Nachhaltigkeit in chemischen Forschungslabors und Produktionsanlagen heute einen bedeutenden Raum ein. Mit den Bezeichnungen “grüne” oder “nachhaltige” Chemie haben sich Vorhaben realisiert, die weit mehr als nur die fachgerechte Entsorgung von Schadstoffen betreffen.

“Abfälle” sind Nebenprodukte

So gilt es, Rohstoffe und Energie effizient zu nutzen und Abfälle bzw. Nebenprodukte möglichst gar nicht erst entstehen zu lassen. Dazu gehört auch die Integration von nachwachsenden Rohstoffen in chemische Synthesen. Wie Wolfgang Hölderich von der Technischen Hochschule Aachen in der vergangenen Woche auf der 1. Internationalen Konferenz der IUPAC (“International Union of Pure and Applied Chemistry”) über “Green-Sustainable Chemistry” in Dresden berichtete, ist hier ein Forschungsgebiet entstanden, welches große Potenziale beinhaltet.

Die Produktion von Biodiesel z.B., die allein in Deutschland einen Umfang von 1,7 Millionen Tonnen pro Jahr hat, lässt als Nebenprodukt große Mengen an Glycerin anfallen – pro Tonne Biodiesel rund hundert Kilogramm -, die weit über den Bedarf des herkömmlichen Marktes, der kosmetischen Industrie, hinausgehen.

Glycerin ist ein vielseitiger Ausgangsstoff für die chemische Industrie. Hölderich und seine Arbeitsgruppe haben beispielsweise gemeinsam mit dem französischen Unternehmen Arkema ein Verfahren entwickelt, Glycerin in Acrolein zu verwandeln. Diese Substanz ist wiederum ein unentbehrlicher Ausgangsstoff für Acrylsäure, die weiter zu Kunststoffen, Lacken und Superabsorbern für Babywindeln verarbeitet werden kann. Auch Methionin, eine für Tierfutter wichtige Aminosäure, wird aus Acrolein produziert.

Verzicht auf fossile Ressourcen

Durch die zunehmende Verfügbarkeit von Glycerin aus biogenen Rohstoffen kann die Industrie künftig darauf verzichten, all diese Produkte aus fossilen Ressourcen herzustellen. Anscheinend mit lukrativen Aussichten: So errichtet die Firma Solvay derzeit im französischen Tavaux eine neue Anlage, in der Glycerin aus der Biodieselherstellung in das wertvolle Zwischenprodukt Epichlorhydrin umgewandelt werden soll (vgl. Meldung vom 2006-03-30.). Auch der amerikanische Agrarriese Archer Daniels Midland gab kürzlich ein Verfahren bekannt, welches die Basischemikalie Propylenglykol aus Glycerin verfügbar macht.

Bei allen neuen Verfahren nehmen Katalysatoren eine Hauptrolle ein. Erst mit ihrer Hilfe gelingen Produktergebnisse mit hohen Ausbeuten bei geringem Energieaufwand. Vor allem so genannte heterogene Katalysatoren erweisen sich für nachhaltige Synthesen als geeignet, da sie leicht zu isolieren und somit mehrfach verwendbar sind. Zusätzlich sind sie billiger und weniger empfindlich als homogene Katalysatoren.

Als Beispiel für das Potenzial der Katalyseforschung nannte Hölderich die Produktion von Caprolactam, dem Ausgangsstoff für Nylon. Während früher pro Kilogramm Nylon, aus dem beispielsweise Feinstrumpfhosen oder Dübel gefertigt werden, eine fünfmal so große Menge an Abfall anfiel, sind heute moderne Verfahren unter dem Begriff “zero waste”-Prozesse etabliert, welche sich durch Ausbeuten von nahezu hundert Prozent auszeichnen. Ein solches hat auch Hölderichs Arbeitsgruppe entwickelt.

Früher Lösungsmittel, heute ionische Flüssigkeiten

Lösungsmittel sind auch in der nachhaltigen Chemie nicht wegzudenken. Fast alle chemischen Verfahren benötigen sie zur Trennung von Reaktionskomponenten , wenn diese miteinander reagieren sollen. Hierfür werden in jedem Jahr viele Millionen Tonnen organischer Lösungsmittel verbraucht, darunter Alkohole, Ether oder chlorierte Kohlenwasserstoffe. Da diese Flüssigkeiten immer flüchtig, meist brennbar und häufig giftig sind, sucht man nach Ersatz.

Dieser scheint sich unter anderem bei den ionischen Flüssigkeiten gefunden zu haben – Salze, die bereits bei Raumtemperatur flüssig sind oder aber bei geringem Erwärmen schmelzen. Sie können wie konventionelle Lösungsmittel andere Substanzen lösen, sind aber weder brennbar noch flüchtig.

Darüber hinaus bilden sie oftmals mit den anderen Komponenten eines Reaktionsgemisches ein zweiphasiges System, ähnlich wie Wasser und Öl. Das erleichtert die Isolation der Substanzen sowie die spätere Wiederverwendung. Kenneth Seddon vom Quill-Forschungsinstitut an der Queens-Universität Belfast stellte in Dresden heraus, dass seinen Untersuchungen nach zahlreiche Reaktionstypen von der Verwendung ionischer Flüssigkeiten profitieren können.

Hoher Preis – überzeugende Ergebnisse

Wenngleich die akademische Forschung die Vorteile der ionischen Flüssigkeiten bereits erkannt hat, ist man in der Industrie noch zurückhaltend. Allerdings gab die BASF schon vor drei Jahren bekannt, das erste Verfahren mit ionischen Flüssigkeiten im industriellen Maßstab etabliert zu haben. (Vgl. Meldung vom 2006-08-30.)

Inzwischen sind andere Unternehmen nachgezogen, zumeist noch mit Pilotanlagen bzw. im labortechnischen Maßstab. Obwohl die hohen Preise für ionische Flüssigkeiten auf den ersten Blick abschrecken, muss Berücksichtigung finden, dass diese mehrmals wiederverwendet werden können.

Immerhin zeigt sich bei der Herstellung ionischer Flüssigkeiten noch Optimierungspotenzial. Wie Annegret Stark von der Universität Jena auf der Konferenz vortrug, lassen sich die Salze auch aus recht einfachen Komponenten und damit deutlich kostengünstiger herstellen als die derzeit handelsüblichen.

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Source

Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 2006-09-20.

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