Bioelektrische Chemieanlagen könnten klassische Petrolchemie einmal ablösen

Beispiel Lysinproduktion zeigt Kostenvorteile auf

bioelektrochemische Reaktoren
Mikrobielle Bioelektrokatalyse & Bioelektrotechnologie. Foto: André Künzelmann/ UFZ Zoom

Leipzig/Brisbane. Die „Elektrifizierung“ der Weißen Biotechnologie ist kein grüner Traum, sondern eine Alternative zur Petrolchemie mit realistischem ökonomischen Potenzial. Im Vergleich mit der zuckerbasierten Bioproduktion seien bioelektrochemische Prozesse bereits jetzt zum Teil wettbewerbsfähig. Die nächste Generation dieser Chemieanlagen könnte daher nicht nur wesentlich umweltfreundlicher, sondern auch kosteneffizienter werden. Zu diesem Ergebnis kommen Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) und der University of Queensland, die erstmals die ökonomischen Chancen dieses neuen Zweiges der Biotechnologie untersucht und die Ergebnisse im Fachblatt „ChemSusChem“ veröffentlicht haben.

Im Gegensatz zur Energie- und Kraftstoffbranche, die zum Großteil durch staatliche Ziele geprägt ist, wird die Chemieindustrie ausschließlich von Marktmechanismen dominiert. Firmen und Kunden sind bisher größtenteils nicht bereit, einen Mehrpreis für „grüne“ Produkte zu bezahlen. Dies hat zur Folge, dass die Produktion von bio-basierten Chemikalien gegenüber der traditionellen erdölbasierten Produktion billiger sein oder einen Zusatznutzen haben muss. Bei gleichen Kosten dagegen setzen Firmen meist auf die bewährten Produktionswege und -verfahren. Trotzdem wird der Anteil der „grünen“ an der gesamten Chemieproduktion bis 2025 deutlich steigen, so die Prognosen verschiedenster Institutionen. Dieser große Markt steht im Mittelpunkt der sogenannten Weißen Biotechnologie, die biotechnologische Methoden für industrielle Produktionsverfahren einsetzt und von der roten (Medizin) sowie grünen Biotechnologie (Pflanzen) abgegrenzt wird.

bioelektrochemische Reaktor
Bioreaktor mit Aufrüstset zur bioelektrischen Synthese. Foto: André Künzelmann/UFZ Zoom

Treibstoffe und Chemikalien können bioelektrochemisch produziert werden. Dazu werden mikrobielle Synthesen durch elektrischen Strom angetrieben und gesteuert, was neue Möglichkeiten eröffnet. Trotzdem ist diese „Elektrifizierung“ der weißen Biotechnologie nicht leicht zu erreichen, da biochemische und elektrochemische Reaktionen unterschiedliche Prozessbedingungen bevorzugen. Deshalb besteht noch ein erheblicher Bedarf an systematischer Forschung und Entwicklung, um diese Technologie für den Markt verfügbar zu machen, wie die Forscher in ihrer Arbeit darlegen.

Um die ökonomischen Chancen dieses relativ neuen Ansatzes abzuschätzen, betrachteten die Forscher einen etablierten Prozess zur Biosynthese und verglichen diesen mit der entsprechenden Bioelektrosynthese. Als Modellprozess wählten sie die Lysinproduktion, welche konventionell auf Zuckern oder komplexen Substraten, wie beispielsweise auf Saccharose aus Zuckerrüben oder Melasse basiert. Lysin ist ein Massenprodukt, von dem 2013 über 1,9 Millionen Tonnen hergestellt wurden. Diese Aminosäure wird als Zusatz in Futtermitteln oder in Schmerzmitteln verwendet und erzielte Preise zwischen 1,6 und 2,4 US-Dollar pro Kilogramm. Die Forscher verglichen nun die Substratkosten für eine solche konventionelle Biosynthese (auf Saccharose basierend) mit der Bioelektrosynthese, bei welcher neben Saccharose auch elektrische Energie als Substrat eingesetzt wird.

bioelektrochemische Reaktor
Biofilmelektrode. Foto: André Künzelmann/UFZ Zoom

Durch unterschiedliche Rohstoffpreise für Saccharose in der EU und in den USA ergaben sich für beide Szenarien unterschiedliche Kosten: Unter Annahme aktueller Marktpreise würde die bioelektrochemische Produktion von 30 Tonnen Lysin, was einem typischen Produktionsansatz entspricht, demnach in der EU etwa 21.500 US-Dollar und in den USA etwa 16.700 US-Dollar kosten. Gegenüber der klassischen Biosynthese ergäben sich durch die neue, effizientere Produktionsmethode Kosteneinsparungen von 8,4% in der EU und 18,0% in den USA. Dabei werden potentielle Ersparnisse durch den geringeren Bedarf an Produktreinigung aufgrund der verringerten Nebenproduktproduktion noch nicht einmal berücksichtigt“ ergänzt Dr. Jens Krömer von der Universität Queensland. „Wenn man spekuliert und dies auf einen Zeithorizont von zehn Jahren umrechnet, macht dies bei einer Anlage mit einer Jahresproduktion von 50.000 Tonnen immerhin 30 Millionen US-Dollar in der EU bzw. 50 Millionen US-Dollar in den USA aus. Dabei müssen allerdings noch die zusätzlichen Investitionskosten, welche bisher nicht abgeschätzt werden können, abgezogen werden. Nichtsdestotrotz zeigt dieses Beispiel, dass die bioelektrische Produktion von Chemikalien also auch ökonomisch interessant werden kann“, erklärt Dr. Falk Harnisch vom UFZ.

Die Bioelektrotechnologie ist also ein Thema mit weitreichender Bedeutung. Das Fachjournal „ChemSusChem“, das sich der Chemie und der Nachhaltigkeit verschrieben hat, widmet daher dieser Publikation auch seine Titelseite. Diese zeigt das (von einer Mitautorin gezeichnete) Bild eines Globus mit zwei Seiten – der grünen Synthese und der Erdölchemie. Dieser positive Ausblick soll ausreichend dazu motivieren, die Forschung der Bioelektrotechnologie weiter zu fördern.

 

Publikation:

Harnisch, F., Rosa, L. F. M., Kracke, F., Virdis, B. and Krömer, J. O. (2014): Electrifying White Biotechnology: Engineering and Economic Potential of Electricity-Driven Bio-Production. ChemSusChem. doi: 10.1002/cssc.201402736
http://dx.doi.org/10.1002/cssc.201402736
Die Untersuchungen wurden gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF-Initiative „Nächste Generation biotechnologischer Verfahren – Biotechnologie 2020+”), die Helmholtz-Gemeinschaft (Nachwuchsgruppe & Forschungsprogramm Erneuerbare Energien) sowie die University of Queensland.

Als deutschsprachige Übersicht zum Thema:

Agler-Rosenbaum, M., Schröder, U. und Harnisch, F. (2013): Mikroben unter Strom. Biologie in unserer Zeit, 43: 96–103. doi: 10.1002/biuz.201310502
http://dx.doi.org/10.1002/biuz.201310502
Die Arbeit wurde gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG-Exzellenzcluster „Tailor-Made Fuels from Biomass“), über das Zukunftskonzept II der RWTH Aachen, das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF-Initiative „Nächste Generation biotechnologischer Verfahren – Biotechnologie 2020+”) und die Helmholtz-Gemeinschaft (Nachwuchsgruppe & Forschungsprogramm Erneuerbare Energien).

 

Kontakte

Dr. Falk Harnisch
Leiter der Arbeitsgruppe Mikrobielle Bioelektrokatalyse & Bioelektrotechnologie
im Department Umweltmikrobiologie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ)
Telefon: +49-(0)341-235-1337
Dr. Falk Harnisch: falk.harnisch@ufz.de

und

Dr. Luis Filipe Morgado Rosa (auf Englisch & Portugiesisch)
Arbeitsgruppe Mikrobielle Bioelektrokatalyse & Bioelektrotechnologie
im Department Umweltmikrobiologie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ)
Telefon: +49-(0)341-235-1373-3237

und

Dr. Jens Krömer
University of Queensland
Phone: 07 3346 3222
e-mail: j.kromer@awmc.uq.edu.au

oder über

Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung
Tilo Arnhold, Susanne Hufe (UFZ-Pressestelle)
Telefon: +49-(0)341-235-1635, -1630

 

Weitere Informationen

Arbeitsgruppe „Mikrobielle Bioelektrokatalyse & Bioelektrotechnologie“ am UFZ:
http://www.ufz.de/index.php?de=31005

Forschung zur mikrobiellen Bioelektrotechnologie wird in Leipzig etabliert
(Pressemitteilung vom 13. September 2012):
http://www.ufz.de/index.php?de=30828

Initiative “Nächste Generation biotechnologischer Verfahren – Biotechnologie 2020+”:
http://www.bmbf.de/de/biotechnologie2020plus.php

Was ist Biotechnologie?:
https://www.biotechnologie.de/BIO/Navigation/DE/Hintergrund/basiswissen,did=79764.html

 

Über das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung

Im Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) erforschen Wissenschaftler die Ursachen und Folgen der weit reichenden Veränderungen der Umwelt. Sie befassen sich mit Wasserressourcen, biologischer Vielfalt, den Folgen des Klimawandels und Anpassungsmöglichkeiten, Umwelt- und Biotechnologien, Bioenergie, dem Verhalten von Chemikalien in der Umwelt, ihrer Wirkung auf die Gesundheit, Modellierung und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen. Ihr Leitmotiv: Unsere Forschung dient der nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen und hilft, diese Lebensgrundlagen unter dem Einfluss des globalen Wandels langfristig zu sichern. Das UFZ beschäftigt an den Standorten Leipzig, Halle und Magdeburg über 1.100 Mitarbeiter. Es wird vom Bund sowie von Sachsen und Sachsen-Anhalt finanziert.

Über die Helmholtz-Gemeinschaft

Die Helmholtz-Gemeinschaft leistet Beiträge zur Lösung großer und drängender Fragen von Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft durch wissenschaftliche Spitzenleistungen in sechs Forschungsbereichen: Energie, Erde und Umwelt, Gesundheit, Schlüsseltechnologien, Struktur der Materie, Verkehr und Weltraum. Die Helmholtz-Gemeinschaft ist mit fast 36.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in 18 Forschungszentren und einem Jahresbudget von rund 3,8 Milliarden Euro die größte Wissenschaftsorganisation Deutschlands. Ihre Arbeit steht in der Tradition des Naturforschers Hermann von Helmholtz (1821-1894).

Author

Tilo Arnhold

Source

Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung, Pressemitteilung, 2015-03-09.

Supplier

Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)
ChemSusChem Journal (Wiley)
Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren e.V.
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ)
University of Queensland

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